Wo beginnt Gewalt in einer Beziehung?
Was ist Gewalt?
Gewalt kann als Ausübung von Zwang verstanden werden. Der Wille der betroffenen Person wird missachtet und soll gebrochen werden. Der/die Gewalttätige strebt Verletzung, Schädigung und Unterordnung des Opfers an. Dabei kann es sich um eine körperliche oder auch eine emotionale Schädigung handeln. Schon mit der Androhung von Gewalt kann der eigene Wille gegen den Willen der anderen Person durchgesetzt werden. (Handbuch „Ist das schon Gewalt?“, Seite 19)
Frauen und Mädchen sind häufiger von Gewalt in Beziehungen betroffen als Männer. Das hat damit zu tun, dass Frauen und Mädchen noch immer nicht in allen Bereichen als gleichwertig mit Männern und Buben anerkennt werden. Bereits im Kindesalter lernen wir bestimmte Geschlechterrollen, die entweder der Weiblichkeit (wie Zurückhaltung und Schwäche), oder der Männlichkeit (wie Selbstbewusstsein und Stärke) zugeschrieben werden.
Diese Rollen begleiten uns unser Leben lang und wirken sich auf unsere Beziehungen zu anderen Menschen aus, so auch innerhalb der Familie und Partnerschaft. Gerade hier können sich diese Rollenbilder und damit einhergehenden ungleichen Machtverhältnisse in Gewalthandlungen manifestieren – beginnend damit, dass Verhaltens- und Lebensformen aufgezwungen werden bis hin zu massiver körperlicher und sexueller Gewalt (zum Beispiel durch Väter, Brüder oder Partner).
Gewalt ist nie die Schuld der Betroffenen. Sie ist Ausdruck eines ungleichen Geschlechterverhältnisses und niemals gerechtfertigt.
Wie erkenne ich Gewalt in einer Beziehung?
Aus dem Alltag in den Beratungsstellen wissen wir, dass es vielen Frauen und Mädchen nicht leichtfällt, Gewalt gleich als solche zu erkennen. Manche realisieren überhaupt erst im Sprechen, dass das, was sie erleben, Gewalt ist. Denn Gewalt beginnt nicht „erst“ bei körperlicher Gewalt, sondern sie beginnt schon da, wo jemand zum Beispiel beschimpft, erniedrigt, bedroht, kontrolliert oder in seiner Freiheit eingeschränkt wird.
Folgende typischen Situationen und Merkmale können darauf hinweisen, dass Sie möglicherweise in einer gewaltvollen Beziehung leben:
- Ihr Partner redet vor ihren Freund*innen und Ihrer Familie häufig schlecht von Ihnen. Er gibt Ihnen das Gefühl, dass sie nicht gut genug sind. Er beschimpft Sie und würdigt Sie herab.
- Sie verhalten sich ihrem Partner gegenüber oft vorsichtig. Sie stellen Ihre eigenen Bedürfnisse zurück und sagen Ihre Meinung nicht, um ihn nicht zu „provozieren“. Sie geben sich selbst die Schuld, wenn es doch zu einem Konflikt kommt.
- Ihr Partner ist extrem eifersüchtig. Er kontrolliert, mit wem Sie sich treffen und überprüft Ihr Handy. Vielleicht verbietet er Ihnen auch den Kontakt zu manchen Personen oder schreibt Ihnen vor, wann sie zu Hause sein müssen.
- Sie meiden Treffen mit Freund*innen oder Familie und bemühen sich immer pünktlich zu Hause zu sein, um zu vermeiden, dass es zu „einer Szene“ kommt.
- Ihr Partner drängt Sie dazu Sex zu haben, auch wenn Sie das nicht möchten.
- Sie trauen sich nicht, mit Ihren Freund*innen über Ihre Beziehung zu sprechen, weil Sie das Gefühl haben, dass etwas nicht ganz stimmt, oder weil Sie sich dafür schämen, wie mit Ihnen umgegangen wird.
- Ihr Partner verbietet es Ihnen, einer Ausbildung oder Berufstätigkeit nachzugehen.
- Ihr Partner droht damit sich selbst oder Ihnen Gewalt anzutun, wenn Sie sich nicht so verhalten, wie er das möchte.
Alarmzeichen für Gewalt
Gewalt zu erleben heißt, das eigene Leben nicht frei gestalten zu können. Wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie sich selbst einschränken müssen, oder wenn Sie sich in Ihrer Beziehung unsicher fühlen oder Angst haben, dann sind das Alarmzeichen für Gewalt. Auch wenn Ihnen mit Gewalt gedroht wird, ist das Gewalt. Sie sind mit diesen Erfahrungen nicht alleine! Es gibt spezialisierte Einrichtungen, an die Sie sich wenden können!
Wo gibt es Unterstützung?
Betroffene Frauen und Mädchen scheuen oft lange davor zurück über Ihre Gewalterfahrungen zu sprechen. Manche geben sich selbst die Schuld an der Gewalt ihrer Partner. Manche wissen gar nicht, welche Rechte und Möglichkeiten sie haben. Manche sind unsicher, welche Schritte sie setzen möchten oder ob sie sich trennen möchten oder nicht.
Gerade in solchen Situationen kann es hilfreich sein ein Beratungsgespräch in Anspruch zu nehmen. Dort können Sie in einer geschützten Atmosphäre über alles sprechen, was Sie beschäftigt und bedrückt. Sie erhalten Informationen zu Ihren Rechten und Möglichkeiten – aber Sie werden zu keiner Entscheidung gedrängt. Beratungsgespräche in Frauen- und Mädchenberatungsstellen sind kostenfrei, immer vertraulich und auf Wunsch auch anonym. Wichtige Anlaufstelle für Frauen und Mädchen, die Gewalt erfahren, sind auch die Frauenhäuser und/oder Gewaltschutzzentren.
Eine Übersicht über Anlaufstellen finden Sie hier: „Hilfseinrichtungen bei Gewalt“
„Ist das schon Gewalt?“: Handbuch von Frauen* beraten Frauen*
Die Beratungsstelle Frauen* beraten Frauen* hat kürzlich ein Handbuch mit dem Titel „Ist das schon Gewalt?“ veröffentlicht, in dem genau diese Frage aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet wird. Das Handbuch thematisiert Gewalt gegen Frauen als gesellschaftliches Problem und bietet auch Beraterinnen Tools zum Umgang mit Frauen und Mädchen, die Gewalt erfahren haben.